9. November 2024: Wir gehen dieses Jahr wieder auf die Straße um zu zeigen, dass der 9. November 1938 nicht vergessen werden darf.
Als die Leeraner Synagoge 1885 feierlich eingeweiht wurde, war der Bürgermeister Julius Pustau als Ehrengast anwesend.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 steckte ein anderer Bürgermeister der Stadt Leer, Erich Drescher, die Vorhänge in der Synagoge in Brand. Männer der SA – aus der Mitte der Gesellschaft – waren die weiteren Täter.
Welch ein Zivilisationsbruch. Es gab keinen Aufschrei in der Mehrheitsgesellschaft, geschweige denn Widerstand. Allen Deutschen musste an diesem Tag im Jahr 1938 klar sein, dass sich ihr Land auf dem Weg in den Abgrund befand.
Wir gehen gleich durch die Rathausstr., Brunnenstr., Heisfelder Str, alles Straßen, in denen jüdische Familien lebten und mit ihren Geschäften ansässig waren. Etwas von dieser jüdischen Lebensart hat uns gerade die Musik vermittelt.
Die jüdischen Nachbarn wurden am 9. November 1938 mit Gewalt aus ihren Wohnungen und Häusern geholt und zum Viehhof getrieben. Spätestens da war allen bewusst, dass sie in ihrer Heimat, in Leer, nicht mehr in Frieden leben konnten.
Viele von ihnen konnten nicht mehr flüchten, sie wurden deportiert und in den KZ ermordet.
Wir gehen gleich in der Rathausstr. am Uhrengeschäft an der rechten Seite vorbei.
Dort hatte Louis Aaron ein Bekleidungsgeschäft. Dort lebte auch seine Tochter mit Schwiegersohn und Enkelkindern, die Familie Aussen. Sie suchten Schutz in den Niederlanden. Sie konnten nicht ahnen, dass die Deutschen die Niederlande überfielen und dort die Verfolgung der Juden fortsetzten. Alle Bewohner, Kinder und Erwachsene, dieses Hauses wurden in dem Vernichtungslager Sobibor ermordet.
Ungeheuerlich und beschämend ist es, dass auch jetzt wieder Juden und Jüdinnen auf unseren Straßen Angst haben müssen. Synagogen müssen durch die Polizei geschützt werden. Auch die aktuellen Bilder aus Amsterdam machen uns fassungslos.
Niemand hindert uns heute daran, unsere Stimme zu erheben und Solidarität zu zeigen und deutlich zu machen, dass wir, die Mehrheit, jeglichen Antisemitismus ablehnen.
Daher gehen wir heute wieder diesen Weg.
Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme.
Schalom!
Ansprache des 1. Vorsitzenden der Gesellschaft für christlich jüdische Zussammenarbeit in Ostfriesland e.V., Wolfgang Kellner am 9. November 2024