
Sehr geehrte Damen und Herren,
die letzten beiden Jahre waren bzw. sind besondere für den jüdisch-christlichen Dialog in Niedersachsen: 2021 hatten wir das bundesweite Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Dieses Jahr wurde dann die Woche der Brüderlichkeit in Osnabrück eröffnet, umrahmt mit einem ganzjährigen bisher sehr gut angenommenen Begleitprogramm in der Friedensstadt.
Beide Feierlichkeiten leben von neuen Begegnungsmöglichkeiten im jüdisch-christlichen Dialog, die das Gemeinsame bewusst machen, aber auch die Verschiedenheiten achten. Im Dialog geht es nie um Vereinheitlichung, sondern um gegenseitige Achtung der anderen. Ein Beitrag in diesem Sinne ist auch die bundesweite Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“. So werden hier keine Gemeinsamkeiten konstruiert, sondern vielmehr das gemeinsame Erbe in beiden Traditionen gesichtet und in Erinnerung gerufen. Die genannten Verbindungen werden dann jeweils aus jüdischer Sicht und aus christlicher Sicht reflektiert. Wer die ausführlichen Begleittexte liest, kann auch in der eigenen Tradition einiges Überraschendes entdecken.
Dieses Jahr gibt es nun endlich die Ausstellung zur Kampagne, die vom Zentralverein für „Begegnung von Christen und Juden“ verliehen wird. Es ist mir eine besondere Freude, dass ich heute im wunderschönen Leer zu Ihnen sprechen darf und der Start dieser zweiten Etappe quasi von der Küste ausgeht. Im Namen der niedersächsischen Steuerungsgruppe der Kampagne gratulieren wir Ihnen zu diesem Schritt und so möchte ich Sie auch im Namen meiner evangelischen Kollegin Professorin Ursula Rudnick sehr herzlich grüßen. Es ist etwas sehr Schönes, dass es hier in Leer eine solch aktive Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gibt. Vielleicht kann unsere Ausstellung an einem derart zentralen Ort auch einen Impuls geben und das Bewusstsein dafür schärfen, wie wichtig es ist, über die Grenzen der eigenen Religion oder Überzeugung mit anderen Menschen in Kontakt zu sein und Lust darauf zu machen, im Dialog noch mehr Verbindendes zu entdecken.
Nichts davon ist selbstverständlich. Angesichts der Tatsache, dass der Zimmermannssohn Jesus von Nazareth selbst Jude war und in der jüdischen Tradition gelebt hat, dass praktisch alle maßgeblichen Akteure in den Evangelien Jüdinnen und Juden waren und es heute theologischer Konsens ist, dass Gott den Bund mit Israel nie aufgekündigt oder ersetzt hat, scheint es kaum begreiflich, dass über die Jahrhunderte Jüdinnen und Juden schärfsten Anfeindungen durch christlichen Antijudaismus ausgesetzt waren.
Wenn unsere Ausstellung ein paar Anstöße geben kann, dem christlichen Antijudaismus eine endgültige Absage zu erteilen, wäre schon viel gewonnen. Noch schöner wäre es, wenn sie die Besucherinnen und Besucher neugierig machen würde, noch mehr über das Judentum und das uns Verbindende zu erfahren.
Ein erster Schritt dazu können die Begleitmaterialien zu unserer Ausstellung sein, die im Internet kostenfrei zugänglich sind oder in Form einer Broschüre bestellt werden können. Wichtiger als über andere zu lesen, bleibt aber, sich zu begegnen, und so möchte ich in dieser Hinsicht ausdrücklich dafür werben, solche Begegnungsräume zu schaffen. Wenn das hier an der Küste nur eingeschränkt möglich ist, kommen Sie doch gerne mal nach Osnabrück oder auch nach Bremen: Die dortigen jüdischen Gemeinden empfangen Sie gerne, auch wenn sie vielleicht nicht allen Anfragen nachkommen können.
Abschließend möchte ich nochmal ausdrücklich der Stadt Leer und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Ostfriesland danken, dass Sie dem Anliegen des jüdisch-christlichen Dialogs einen solch prominenten Ort gewidmet haben. Ansonsten wünsche ich allen Anwesenden und allen noch folgenden Besucherinnen und Besuchern einen inspirierenden Gang durch die Ausstellung. Möge unsere Ausstellung das Bewusstsein für die geschwisterliche Nähe von Jüdinnen und Juden und Christinnen und Christen stärken und bei allen Menschen guten Willens für gegenseitigen Respekt werben!
Dr. Schober ist Diözesanbeauftragter für interreligiösen Dialog beim bischöflischen Generalvikariat des Bistum Osnabrück