
NORDEN MEETS WORMS
Dialog-Vortrag
Wolfgang Kellner (Leer) / Jörg W. Rademacher (Norden)
„Bernhard Bavink: ein ’strammer Nationalist‘ vs. Victor Klemperer: ein ‚jüdischer Patriot‘: ‚Vergiftetes Denken‘ vs. ‚Vergiftete Sprache’“
Ludgerikirche Norden, Dienstag, 13. September 2022, 19 Uhr
Bernhard Bavink (1879-1947), in Leer (Ostfriesland) geboren, studierte Naturwissenschaften und wurde Gymnasiallehrer in Bielefeld. Schon vor dem Ersten Weltkrieg geriet er in den Bannkreis rechtsnationalen Denkens und wurde in der Weimarer Republik zu einem „Vordenker“ des „Rassenwahns“ der Nationalsozialisten. Es gelang ihm, seine Karriere als Lehrer, Hochschullehrer und Publizist fortzusetzen, als das „Dritte Reich“ beendet war. Weit über seinen Tod hinaus wurde Bavink publizistisch und durch Namen von Schulen oder Straßennamen gewürdigt. Wolfgang Kellner ist Autor einer Studie, welche die gedankliche Kontinuität vom Kaiserreich bis über das „Dritte Reich“ hinaus an Leben und Werk Bavinks ausführlich belegt: VERGIFTETES DENKEN. ALLIANZEN DER STRAMM NATIONAL GESINNTEN MÄNNER VOM KAISERREICH BIS ZUM NS-STAAT. EINE FALLSTUDIE ZU BERNHARD BAVINK (Hamburg, 2021).
Victor Klemperer (1881-1960), in Landsberg (Warthe) als Sohn eines Rabbiners geboren, studierte Germanistik und Romanistik, wurde nach freiberuflicher Tätigkeit als Kritiker und Germanist noch vor dem Ersten Weltkrieg promoviert. Sowohl als Soldat in Nordfrankreich als auch als Zensor in der Etappe nahm er vier Jahre am Krieg teil, bevor er im Verlauf der Weimarer Republik zunächst in Romanistik habilitiert und dann an der TU Dresden zum Professor ernannt wurde. Über Jahrzehnte führte Klemperer Tagebuch. Die ersten vierzig Jahre des Tagebuchs wandelte er in eine Autobiographie um, die anderen Bände überlebten den NS-Staat im Versteck und wurden erst seit den 1990ern Jahren allmählich veröffentlicht. Der Deportation entging Klemperer nur deshalb, weil seine Frau Eva nicht jüdisch war. In einem „Judenhaus“ von Dresden lebend und zur Zwangsarbeit eingesetzt, notierte Klemperer trotz Verbot alles, was er sah und hörte, nicht zuletzt die im NS-Staat gebräuchliche Sprache. Deren Exzesse legte er in der immer noch aktuellen Studie LTI. NOTIZBUCH EINES PHILOLOGEN (Leipzig, 1947) schon kurz nach dem Krieg der Öffentlichkeit vor. Es geht um die „Sprache des Dritten Reiches“ (Lingua Tertii Imperii). In der DDR blieb Klemperer bis zu seinem Tod als Hochschullehrer, Publizist und Verfasser von Tagebüchern aktiv.
Aktuelle Entwicklungen, nicht zuletzt der wieder aufkommende öffentlich ungeniert artikulierte Antisemitismus machen deutlich, wie sehr Denken und Sprache seit dem 19. Jahrhundert „vergiftet“, das heißt mit „toxischen“ Vokabeln aufgeladen sind (Schwarz-Friesel, 2022). Kellner und Rademacher gehen diesem Phänomen in ihrem Dialog-Vortrag nach.